Der KuhBlog
Kuhgerechtes Verhalten erlernen
02.11.2017Wir Kühe ticken anders als ihr Menschen, sprechen eine andere (Körper-) Sprache und nehmen unsere Umgebung auf unterschiedliche Weise wahr. Oft führt das zu Verständnisschwierigkeiten und Stress für beide Seiten, manchmal gar zu Unfällen. Deshalb berichte ich heute vom Lehrgang „Low Stress Stockmanship“ – auf Deutsch in etwa: stressreduzierter Umgang mit Rindern.
Viele von Euch kennen die „Pferdeflüsterer“ – und wissen, dass mensch für einen guten Umgang mit den Pferden ihre Sprache lernen muss. Ähnliches gilt auch für Kühe: Um das Arbeitsleben auf dem Hof für Kuh und Mensch so angenehm wie möglich zu machen, kann mensch Low Stress Stockmanship erlernen.
Philipp Wenz
Vor kurzem fand so ein Seminar der Demeter-Akademie auf dem Hofgut Oberfeld in Darmstadt statt. Dazu waren 16 Menschen angereist, die erfahren wollten, wie sie ihren Kühen besser gerecht werden können. Der Kursleiter Philipp Wenz hat ihnen einiges an theoretischen Grundlagen vermittelt und dann auch auf der Weide demonstriert, wie das in der Praxis aussieht. Meine Kuh-Kolleginnen waren anfangs ziemlich aufgeregt über die vielen Menschen und sind muhend über die Weide gerannt, beruhigten sich aber schnell wieder, als sie gemerkt haben, dass es darum geht, miteinander zu kommunizieren.
Der feine Unterschied
Wir Kühe können uns meist nur auf eine Sache konzentrieren. Wir sind ziemlich neugierig, aber auch skeptisch. Wenn zum Beispiel ein neuer Gegenstand im Stall oder auf der Weide auftaucht, wollen wir das Ding genauestens begutachten und kennenlernen. Aber bitte in unserem Tempo! Mit Hektik und Zeitdruck können wir so gar nicht umgehen. Wir haben auch unterschiedliche Komfortzonen, die bei jeder Kuh anders sind. So stört es mich überhaupt nicht, wenn fünf Meter entfernt von mir irgendjemand rumwerkelt, so lange ich mir das aus dem Augenwinkel angucken kann. Meiner Freundin Klara jedoch ist es schon zu viel, wenn ihr jemand auf 15 Meter nahekommt. Da nimmt sie Reißaus.
Und an diesem Punkt kommt das Low Stress Stockmanship ins Spiel. Denn wenn Menschen unsere Körpersprache lesen und selbst anwenden können, wissen sie „ah, der Klara bin ich jetzt schon zu nah dran, ich warte lieber hier und lass ihr Zeit, mich und meine Absichten zu beobachten“. Es geht letztendlich um gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme. Warum gegenseitig? Nun, wir Kühe testen natürlich auch unsere Grenzen und wenn uns Mensch kein klares Zeichen gibt „bis hierhin und nicht weiter“, dann rücken wir ihm auf die Pelle und suchen beispielsweise in den Jackentaschen nach Leckerlis.
Stressarm im Alltag
Eigentlich alles, was von unserer Routine und Gewohntem abweicht, hat Stresspotential. So zum Beispiel der erste Gang auf einen Hänger:
Das Ding steht auf dem Hof, die menschlichen Betreuer sind total nervös und aufgeregt, bauen Planken und einen Gang auf und das macht uns auch schon skeptisch, irgendwas kann da nicht stimmen. Wenn wir dann eventuell noch mit Stöcken und unter lautem Rufen durch einen engen Gang in Richtung Hänger getrieben werden, stresst uns das total! Kein Wunder, dass wir panisch werden. Viel entspannter wäre es, uns den Raum und die Zeit zu geben, den Hänger selbst zu untersuchen und freiwillig rein zu gehen. Die neugierigen, furchtlosen Kühe sind da etwas schneller unterwegs und die ängstlichen haben ausreichend Zeit, das Spektakel „Kuh geht auf Hänger“ mit gebührendem Abstand zu beobachten. Dann trauen auch sie sich. Und beim nächsten Verladen kennen wir den Hänger ja schon – er tut uns nichts und wir gehen viel entspannter und freiwillig rauf.
Solche Hänger-Situationen gibt es immer wieder: eine Kuh soll das erste Mal in den Melk- oder Klauenpflegestand, es findet ein Weideumtrieb statt und wir sollen durch ein schmales Tor, ein neuer Mitarbeiter ist im Stall und riecht, läuft und spricht ganz anders als die, die wir bisher kennen, usw.
Wenn ihr Menschen unsere Signale erkennt und darauf reagiert, ist uns allen geholfen. Dann sind wir auch keine Gefahr für euch. Denn wenn unsere kuhtypischen Warnsignale nicht verstanden werden, wissen wir uns manchmal nicht anders zu helfen, als anzugreifen. Schade also, dass „Kuhpsychologie“ noch nicht zur landwirtschaftlichen Grundausbildung gehört. Denn dann wäre viel mehr Verständnis für unser Verhalten da, wir würden uns wohler fühlen und wären auch aus Menschensicht bessere Mitarbeiter, was langfristig auch zu besserer Gesundheit und Leistung führen könnte.
Mehr Zeit für Tierwohl
Ich wünsche mir, dass das Tierwohl an erster Stelle steht und es kein Problem ist, etwas mehr Zeit zu „investieren“, sodass wir ruhiger und kuhgerecht leben können. Wenn nach dem Motto „Zeit ist Geld“ unnütze Hektik und Stress verursacht wird, leiden übrigens auch menschliche Mitarbeiter*innen. Auch die Menschen sind viel entspannter, wenn sie den Kühen ihre Zeit zum Erkunden lassen können und die dann freiwillig durch das Tor gehen, als sie „zack, zack“ in 15 Minuten umzustallen. Dem Tier seine Würde zu lassen heißt auch hier, dem tiergerecht handelnden Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. Das bedeutet auch: faire Preise.
Wir Kühe ticken anders als ihr Menschen, sprechen eine andere (Körper-) Sprache und nehmen unsere Umgebung auf unterschiedliche Weise wahr. Oft führt das zu Verständnisschwierigkeiten und Stress für beide Seiten, manchmal gar zu Unfällen. Deshalb berichte ich heute vom Lehrgang „Low Stress Stockmanship“ – auf Deutsch in etwa: stressreduzierter Umgang mit Rindern.
Viele von Euch kennen die „Pferdeflüsterer“ – und wissen, dass mensch für einen guten Umgang mit den Pferden ihre Sprache lernen muss. Ähnliches gilt auch für Kühe: Um das Arbeitsleben auf dem Hof für Kuh und Mensch so angenehm wie möglich zu machen, kann mensch Low Stress Stockmanship erlernen.
Philipp Wenz
Vor kurzem fand so ein Seminar der Demeter-Akademie auf dem Hofgut Oberfeld in Darmstadt statt. Dazu waren 16 Menschen angereist, die erfahren wollten, wie sie ihren Kühen besser gerecht werden können. Der Kursleiter Philipp Wenz hat ihnen einiges an theoretischen Grundlagen vermittelt und dann auch auf der Weide demonstriert, wie das in der Praxis aussieht. Meine Kuh-Kolleginnen waren anfangs ziemlich aufgeregt über die vielen Menschen und sind muhend über die Weide gerannt, beruhigten sich aber schnell wieder, als sie gemerkt haben, dass es darum geht, miteinander zu kommunizieren.
Der feine Unterschied
Wir Kühe können uns meist nur auf eine Sache konzentrieren. Wir sind ziemlich neugierig, aber auch skeptisch. Wenn zum Beispiel ein neuer Gegenstand im Stall oder auf der Weide auftaucht, wollen wir das Ding genauestens begutachten und kennenlernen. Aber bitte in unserem Tempo! Mit Hektik und Zeitdruck können wir so gar nicht umgehen. Wir haben auch unterschiedliche Komfortzonen, die bei jeder Kuh anders sind. So stört es mich überhaupt nicht, wenn fünf Meter entfernt von mir irgendjemand rumwerkelt, so lange ich mir das aus dem Augenwinkel angucken kann. Meiner Freundin Klara jedoch ist es schon zu viel, wenn ihr jemand auf 15 Meter nahekommt. Da nimmt sie Reißaus.
Und an diesem Punkt kommt das Low Stress Stockmanship ins Spiel. Denn wenn Menschen unsere Körpersprache lesen und selbst anwenden können, wissen sie „ah, der Klara bin ich jetzt schon zu nah dran, ich warte lieber hier und lass ihr Zeit, mich und meine Absichten zu beobachten“. Es geht letztendlich um gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme. Warum gegenseitig? Nun, wir Kühe testen natürlich auch unsere Grenzen und wenn uns Mensch kein klares Zeichen gibt „bis hierhin und nicht weiter“, dann rücken wir ihm auf die Pelle und suchen beispielsweise in den Jackentaschen nach Leckerlis.
Stressarm im Alltag
Eigentlich alles, was von unserer Routine und Gewohntem abweicht, hat Stresspotential. So zum Beispiel der erste Gang auf einen Hänger:
Das Ding steht auf dem Hof, die menschlichen Betreuer sind total nervös und aufgeregt, bauen Planken und einen Gang auf und das macht uns auch schon skeptisch, irgendwas kann da nicht stimmen. Wenn wir dann eventuell noch mit Stöcken und unter lautem Rufen durch einen engen Gang in Richtung Hänger getrieben werden, stresst uns das total! Kein Wunder, dass wir panisch werden. Viel entspannter wäre es, uns den Raum und die Zeit zu geben, den Hänger selbst zu untersuchen und freiwillig rein zu gehen. Die neugierigen, furchtlosen Kühe sind da etwas schneller unterwegs und die ängstlichen haben ausreichend Zeit, das Spektakel „Kuh geht auf Hänger“ mit gebührendem Abstand zu beobachten. Dann trauen auch sie sich. Und beim nächsten Verladen kennen wir den Hänger ja schon – er tut uns nichts und wir gehen viel entspannter und freiwillig rauf.
Solche Hänger-Situationen gibt es immer wieder: eine Kuh soll das erste Mal in den Melk- oder Klauenpflegestand, es findet ein Weideumtrieb statt und wir sollen durch ein schmales Tor, ein neuer Mitarbeiter ist im Stall und riecht, läuft und spricht ganz anders als die, die wir bisher kennen, usw.
Wenn ihr Menschen unsere Signale erkennt und darauf reagiert, ist uns allen geholfen. Dann sind wir auch keine Gefahr für euch. Denn wenn unsere kuhtypischen Warnsignale nicht verstanden werden, wissen wir uns manchmal nicht anders zu helfen, als anzugreifen. Schade also, dass „Kuhpsychologie“ noch nicht zur landwirtschaftlichen Grundausbildung gehört. Denn dann wäre viel mehr Verständnis für unser Verhalten da, wir würden uns wohler fühlen und wären auch aus Menschensicht bessere Mitarbeiter, was langfristig auch zu besserer Gesundheit und Leistung führen könnte.
Mehr Zeit für Tierwohl
Ich wünsche mir, dass das Tierwohl an erster Stelle steht und es kein Problem ist, etwas mehr Zeit zu „investieren“, sodass wir ruhiger und kuhgerecht leben können. Wenn nach dem Motto „Zeit ist Geld“ unnütze Hektik und Stress verursacht wird, leiden übrigens auch menschliche Mitarbeiter*innen. Auch die Menschen sind viel entspannter, wenn sie den Kühen ihre Zeit zum Erkunden lassen können und die dann freiwillig durch das Tor gehen, als sie „zack, zack“ in 15 Minuten umzustallen. Dem Tier seine Würde zu lassen heißt auch hier, dem tiergerecht handelnden Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. Das bedeutet auch: faire Preise.